Lieber Rene !
Danke für die Antwort. Seit mehreren Stunden habe ich mich mit Literatur zu Fragen der Komposition befasst und konnte keine Neuigkeiten erfahren. Würde ich dir jetzt stichwortweise alles aufzählen wollen, kämst du wahrscheinlich völlig in die Ecke der Ratlosigkeit. So meine ich, dass du über einen längeren Zeitraum zunächst klassische Darstellungen analysieren solltest, da Sehgewohnheiten ebenso die kompositorische Komponenten entweder ans Licht bringen oder sie verkennen lassen. Du besitzt ein hohes Maß an Intelligenz. Und wenn diese Anlagen mit der Freude am Aufspüren des Bildaufbaus einhergehen, wirst du eines Tages nennenswerte Urteile bei der Bildbetrachtung abgeben können. Zudem dürfte bei der künstlerischen Gestaltung ein Zuwachs an Gestaltungsbedeutung zu erwarten sein. Man sollte jedoch sich nicht in die Starre des Akademismus begeben, wo oftmals die Spritzigkeit der freien Gestaltung Mangelware ist.
Ganz oben steht wahrhaftig die Geometrie: Dreieck, Rechteck, Zylinder, Kreis etc. und die Bezogenheiten zueinander, die Gewichtungen und Spannungsträger sind. Leonardos Darstellungen sind meist Dreiecksgestaltungen. Hinzu kommen die Anwendung von horizontalen und vertikalen Bögen im Verhältnis zu anderen geometrischen Aspekten. Dann die Bedeutung der Horizontal-und Vertikallinien und ihr Verhältnis zueinander. Und da sind wir bei den verschiedenen Perspektiven linearer Konstruktion (nicht mir Konstruktivismus gleichsetzen wollen). Die perspektivischen Besonderheiten wirken wieder im Zusammenhang mit den geometrischen Körpern und können ein Werk spannungsgeladen verdichten oder aber entwerten, also regelrecht aufheben. Nun kommen die Bezogenheiten der Farbe zu den Linien. Die Farbperspektive. Was ist mit dem rechts und Links, mit dem Oben und Unten und dem Verhältnis zueinander ? Man muss forschen lernen, was einen großen Spaß macht.
Stell dir mal einen Baum vor, den du profan in die Mitte des Bildes stellst. Das Rechts und Links hat gleiche Gewichtungen: nämlich Leere. Es wäre ein spannungsloses Bild voller gähnender Langeweile. Lauwarmer Kaffee. Sobald du den Baum etwas nach links von der Mitte verlagerst, erzeugst du Spannung, da sich der linke Freiraum verdichtet und rechts sich die Möglichkeit einer Zweidrittelgestaltung ergibt. Selbst eine Ebene innerhalb eines Landschaftsbildes hat noch die Chancen, als interessant wahrgenommen zu werden.
Fügst du Berge in weiter Ferne hinzu und malst diese mit kräftigen Strichen oder starker Farbigkeit, schlägt alles nach vorn und durchkreuzt die von der Natur vorgegebene Sehgewohnheit. Das Bild wirkt fatal dilletantisch. Und so ist das auch mit den Formen. Also mattierst du die Berge und schon sieht die Chose harmonisch aus.
Du legst vor den Baum einen Ast. Aber wohin legst du ihn ? Hier kommt die intuitive Rolle der Komposition ins Spiel, was du als Künstler bezwecken willst. Stelle dir vor, du würdest den Ast längs zum Betrachter anlegen, der in diesem Maße wie ein Vertikalschatten zum Betrachter wirken würde. In diesem Falle würdest du die beim Linksversetzen des Baumes aufgebaute Spannung zerstören und den Baum zur Bedeutungslosigkeit kompositorisch verkommen lassen. Gleiches wäre möglich, wenn der Ast rechts vom Baum in einer horizotalen Linie einen rechten Winkel bilden würde und somit eine Orthogonale erzeugen würde. Jede Spannung wäre genommen.
Nun legst du den Ast runterwärts versetzt nach rechts horizontal an, wobei der Hauptschnittpunkt vertikal die Hälfte der Baumkrone beinhaltet, und sofort hast du eine spannungsrelevante Anordnung gefunden. Das Auge verlängert automatisch den Baumstamm bis zur Ebene des versetzt liegenden Astes und es ergibt sich ein Dreieck vom Baum zum Ast. Gleichzeitig hast du zwei Anfangspunkte von Diagonalen geschaffen.
Wenn du nun versetzt nach rechts unten Grasbüschel in einer Horizontale anordnest, verstärkst du die Horizontalwirkung des Astes durch die Parallele. Schatten können ebenfalls diese Funktionen übernehmen. Nun kann das Spiel der geometrischen Bezogenheiten je nach dem Willen des Gestalters erweitert werden.
An diesem ganz einfachen Beispiel, lieber Rene, wollte ich dir die Herangehensweise und Wahrnehmung der komposititorischen Gestaltung belegen.
LG von Dieter.
Montag, 8. Dezember 2008
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